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Ein gewaltiges Werk gedeiht weiter.
Die historisch-kritische Ausgabe der Goethe-Tagebücher liegt jetzt im dritten Doppelband (1801 – 1808) vor
Dritter Doppelband

Johann Wolfgang von Goethe fordert auch mehr als 250 Jahre nach seiner Geburt noch immer zu textkritischen Höchstleistungen heraus. 1998 begonnen, rechnen die Herausgeber der zehnbändigen Tagebuchausgabe (jeder Band in einen Text- und einen Kommentband geteilt) mit Abschluß der editorischen Großleistung etwa um das Jahr 2017. Der Editionsplan sieht eine komplette Wiedergabe aller Tagebücher und tagebuchartigen Ausführungen vor, ergänzt um einige flankierende Diarien wie zum Beispiel im zweiten Band diejenigen von Goethes Reisebegleitern Goetze und Geist, im vorliegenden dritten das von Geist, der Goethe als Diener und Schreiber auf der Reise nach Pyrmont und Göttingen (1801) begleitet hat.
Mit dem zehnten Doppelband wird es aber wohl noch nicht sein Bewenden haben, denn schon jetzt ist angekündigt, dass alles Aufnahme finden soll, was weder Tagebuch- noch Werkcharakter besitzt; zum Beispiel die „Ephemeriden“, „Agenda“, „Bücher-Vermehrungs-Listen“ und sogar Notizbücher. Man mag sich fragen, ob das nicht übertrieben ist – aber einmal muss diese Kärrnerarbeit doch – und zwar gut! – geleistet werden. Wir brauchen eine in jeder Hinsicht zuverlässige Edition, die nicht (wie seinerzeit die große Sophien-Ausgabe) dem, was Goethe aufnotiert hat, einer vereinheitlichenden „Entrohung“ unterzogen hat. Und wie wichtig noch das letzte Notizbuch sein kann, kann uns jenes Heft zeigen, das der schlesischen Reise gewidmet war: Einzig aus dem gewinnen wir eine Ahnung davon, dass er sich damals mit Heiratsabsichten trug. Ein andres hat uns die Entdeckung der wirklichen „Faustina“ gezeigt, resp. wie Goethes Verzeichnis seiner Lebensmittelausgaben ab einem bestimmten Zeitpunkt auf einmal angestiegen sind – ab da nämlich, als er noch für einen zweiten Menschen hat einkaufen lassen.
Die vorliegende grundzuverlässige Ausgabe, die Jochen Golz im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen herausgibt, ist ganz gewiss kein kurzgefasstes Lesebuch, erst recht keine gemütsergötzende Lektüre, wohl aber dem intensiven Goethe-Leser die authentischste Autobiografie, die sich denken läßt. Frisch vom Tage weg und eisern faktenbezogen. Da findet sich zwar nichts mehr vom Klatsch der frühen Jahre („Man sagt er sey ein Sohn des Herzogs von Zweybrücken“) und kommt das meiste des mittlerweile 50- bis 60-jährigen sturztrocken daher („Früh die Damen. Physiologische Farben. biß zur Harmonie. Abends Lodoiska.“ – So der komplette Eintrag des 8. Januar 1806!) Aber selbst die größte Biographie kann nur Zusammenfassung sein, während der Dichter in seinen Tagebüchern so voranschreitet, wie das wirkliche Leben verlaufen ist: ohne zu wissen, was der nächste Tag bringt, wer etwa zu Besuch kommt, wie die geplante Arbeit wirklich weiter verläuft, welche Krankheit ihn etwa plagt.
Eine eigentümliche Umkehr hat übrigens stattgefunden. Lag das Verhältnis von Text- zu Kommentarband am Anfang noch etwa 1 : 1, so steht’s jetzt bei 1 : 2. Gleichzeitig damit geht einher, dass zwar die Tagebücher immer weniger stoffliche Spannung bieten, die Kommentare aber denjenigen immer mehr zu Entdeckungen verführen, der sich auf all die vielen Quer- und Weiterverweise einläßt. Der Kommentarteil mag zwar „Augenpulver“ sein, aber er ist von höchster, maßstabsetzender Qualität, exakt und förderlich bis ins Kleinste, mit einem erstaunlichen, immer funktionierenden Verweissystem.
Dem gewaltigen Werk ist zügige Vollendung und eine genügend große Anzahl von Suskribenten zu wünschen! Weiterhin werden alle zwei Jahre ein Text- und ein Kommentarband erscheinen. Bei Bestellung des Gesamtwerks bis zum 31. 12. 2012 wird den Subskribenten noch immer ein Preisvorteil von mindestens 15 % gegenüber den jeweils gültigen Einzelpreisen der nachfolgenden Bände garantiert!

Johann Wolfgang Goethe: Tagebücher. Historisch-kritische Ausgabe. Band III/1 1801 – 1808. 514 S. – Band III/2 1801 – 1808. Kommentar. S. 520 - 1548. Beide Bände hrsg. von Andreas Döhler. Stuttgart: J. B. Metzler 2005. Zusammen 189,90 Euro

Die historisch-kritische Ausgabe der Goethe-Tagebücher schließt mit dem vierten Doppelband (1809 - 1812) eine Lücke: Text und Kommentar liegen jetzt bis 1816 vor.

Vierter Doppelband

Die Jahre von 1809 bis 1812 waren für den alternden Goethe körperlich und seelisch anstrengend. Zugleich aber schließt er mit der „Farbenlehre“ (1790 – 1810) sein ehrgeizigstes wissenschaftliches Werk ab und treibt als Erzähler mit einer unglaublichen Kraft des Gedankens und der Poesie die Romane und Erzählungen des Spätwerks weiter resp. schließt sie ab: „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ finden ihre Fortsetzung durch die „Wanderjahre“, in die er unter anderem seine tiefsinnigste Entwicklungsnovelle „Der Mann von funfzig Jahren“ und das Märchen „Die neue Melusine“ integriert. 1808 – 1809 arbeitet er an den „Wahlverwandtschaften“, 1809 – 1811 am ersten Teil von „Dichtung und Wahrheit“.

All das klingt nach einem Genie, der mit kraftvollen, weit ausholenden Schwüngen Werk um Werk aus sich herausschleudert. In Wahrheit ist es dem Tage abgetrotzt, der augenblicklichen Verfassung des Leibes, der Überbeanspruchung durch selbstauferlegte und fremdbestimmte Aufgaben.

In den Tagebüchern zerfällt das alles in das, was es wirklich war: Sisyphos’ immerwährendes Steinerollen zum Gipfel. 15. April: „Wahlverwandtschaften. Spaziren in Ueberlegung des Schemas zur Ausfüllung u. Ausführung.“ – 16. April: „Die Wahlverwandtschaften. Mit Serenissimo im Park.“ – 20. April: „Theaterangelegenheiten und Session, der ich nicht beywohnte. Die Wahlverwandtschaften.“ Und so weiter, über Monate und Jahre.

Der vierte Band der 430 Druckseiten Tagebuch umfasst den Zeitraum von Januar 1809 bis Dezember 1812. Selbst wenn man konzediert, das Lachen, Lieben, Nächte Goethe nicht notierenswert erschienen: Die durchorganisierte Mühsal des Weimarer Tagesplans, ein ums andre Mal in Angriff genommen, erschreckt und bedrückt. „Hier in Jena bin ich fleißiger und gesammelter als in Weimar“, schreibt er in einem Brief und zieht sich deshalb zum Arbeiten gern in die „Stapelstadt des Wissens“ zurück. Nach einer Beobachtung von Schillers Frau wird er dann immer ein ganz anderer Mensch. Das Repräsentative fällt von ihm ab, die liebenswerten Seiten treten wieder stärker hervor.

Bei der Jenaer Buchhändlerfamilie Frommann verbrachte er manch angeregten Abend, bringt den Damen des Hauses Spitzen mit. Als er sich freilich in die 18-jährige Pflegetochter Mienchen verliebt, bleibt er eine Weile fern und verschließt seine Gefühle in einem Sonetten-Zyklus. Kaum etwas davon spiegeln seine Tagebücher. Im vorangegangen Band taucht Mienchen ein paarmal als bloßes Stichwort auf, im vorliegenden wird der Name „Frommann“ gerade ein einziges Mal und nur als ganze Familie erwähnt.

Anders steht es nun mit einer Teplitzer Badebekanntschaft. Heißt es am 25. Juni schlicht, man habe „Hr. Capellmeisster van Beethoven“ von Karlsbad aus einen Brief geschrieben, so gibt es kaum einen Monat später ein Treffen, und schon am 21. Juli heißt es: „Abends bey Beethoven. Er spielte köstlich.“ Von der vielbeschworenen Abneigung zwischen den Beiden also nichts. Beide anerkannten das Genie des anderen. Der damals 42-jährige gehörte freilich ein anderen Generation an, wurde von Goethe als ausgesproch ungebärdig empfunden. Erst als man ihn einmal nötigt, sich die „Schicksalssymphonie“ anzuhören, war für ihn die Grenze des Erträglichen überschritten. Er kehrte bleich nach Hause zurück und hat sich seitdem nie mehr etwas von Beethoven anhören mögen.

Naturgemäß ist die Lektüre der Tagebücher weniger etwas zum Herunterlesen als zum Nachschlagen. Goethes Erlebnisse, Begegnungen und Studien während seiner Aufenthalte in Karlsbad und Teplitz aber werden Lesern mit Vorwissen das Gewusste genussvoll vertiefen helfen. Die überaus gründliche Herausgabe der Tagebücher mit ihren detaillierten Kommentaren, den ihrerseits genau kommentierten Namens- und Ortsregistern (verwirrenderweise ab Band IV im Anhang der Textbände untergebracht), dem Variantenapparat von Seite zu Seite – das alles ist ein Meilenstein der Goetheforschung. Auch dies eine Sisyphosarbeit, aber im Gegensatz zur – bei Goethe so beliebten – tausendsten Teilcheninterpretation hier eine wirklich benötigte. Wenn das einmal fertig ist, dann haben wir – neben „Goethe von Tag zu Tag“ und den großen Biographien der letzten Jahre – den profundesten Durchlauf durch dieses so überaus reiche Leben.

Johann Wolfgang Goethe: Tagebücher. Historisch-kritische Ausgabe. Band IV/1 1809 – 1812. Text. 636 S. – Band IV/2 1809 – 1812. Kommentar. S. 648 - 1634. Beide Bände incl. der beigelegten. Grundrisse von Karlsbad u. Teplitz hrsg. von Edith Zehm, Sebastian Mangold u. Ariane Ludwig. Stuttgart: J. B. Metzler 2008. Zusammen 189,90 Euro. Fortsetzungspreis: 169,80 Euro.

Der Tagebücher fünfter Band

Fünfter Doppelband

Die vorliegende historisch-kritische Ausgabe von Goethes Tagebüchern, im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik herausgegeben von Jochen Golz, ist sicher keine ergötzliche Lektüre, wohl aber für den intensiven Goethe-Leser die ursprünglichste Autobiografie des Dichters, die sich denken lässt.
Dass ich erst heute den Band 5 von 2007 vorstellen kann, liegt daran, das es im versprochenen Zweijahresrhythmus eine Stockung von einem Jahr gegeben hat, aber die Gründlichkeit des Ergebnisses rechtfertigt alles. Und auch der immer noch ausstehende Band 4 wird nachgereicht, laut Verlagsauskunft erscheint er im November 2008.
Eine eigentümliche Umkehr hat mittlerweile stattgefunden: Lag das Volumenverhältnis von Text- zu Kommentar am Anfang noch bei etwa 1 : 1, so beim dritten Band schon bei 1: 2 und mittlerweile fast bei 1 : 3. Gleichzeitig damit geht einher, dass zwar die Tagebücher immer weniger stoffliche Spannung bieten, aber der an Genauigkeit nicht zu überbietende Kommentar führt zu Entdeckungen, die dank eines ausgebauten Systems von Quer- und Weiterverweisen oft spannender zu lesen sind als Goethes tägliche Notate, die in jenen Jahren ja nichts anderes wollten als Gedächtnisstütze sein. Der Kommentarteil mag zwar „Augenpulver“ sein, aber er ist übersichtlich, exakt und förderlich bis ins Kleinste.
Band 5 beginnt mit Freitag, dem 1. Januar 1813. Sechs Zeilen Stichworte, abgeschlossen vom Vermerk, wie das Wetter war („Heiterer Tag“) und wem Goethe geschrieben hat („An Dr Ehrmann nach Frankfurt a/m“). In der Edition „Goethes Leben von Tag zu Tag“ beansprucht derselbe Tag elf Zeilen, integriert dafür Zitate aus einem Brief an Herzogin Luise, der im Tagebuch keine Erwähnung findet. Der Kommentarband der Tagebücher aber erweitert die karge Tagesnotiz auf fast eine Seite Kleinstgeschriebenes. Da bleibt keine Frage offen.
Die bislang umfassendste Ausgabe der Tagebücher Goethes war die innerhalb der „Sophien-Ausgabe“ erschienene (heute als CD-ROM erhältlich). Die vorliegende Edition aber wird nicht nur die Tagebücher im engeren Sinne bringen, sondern auch noch alle Texte, die weder den Werken noch den Tagebüchern zuzuordnen waren: „Ephemerides“ also, „Agenda“, „Bücher-Vermehrungslisten“, Notizbücher etc. Vor allem aber: Sie bringen den Textlaut wortwörtlich und buchstäblich – im Gegensatz zur ersten Ausgabe, die vieles vereinheitlicht und dadurch sozusagen „entroht“ hat. Am Ende jeder Seite findet sich ein Variantenapparat, der alle Korrekturen, Streichungen und Ergänzungen der Handschrift nachweist und auf diese Weise Aufschluss auch über die einzelnen Phasen der Tagebuchentstehung gibt.
Wenn alles weiter nach Plan läuft, wird das ehrgeizige Werk in etwa zwanzig Jahren abgeschlossen sein wenn dann auch noch der versprochene Supplementband und das Gesamtregister erschienen sind. Wünschen wir dem Unternehmen alles Glück des Gelingens, denn wie bitter es ist, wenn so etwas vorzeitig scheitert, musste ich an der oben erwähnten Edition von „Goethes Leben von Tag zu Tag“ erleben: Das ist ein ungemein nützliches Nachschlage- und lesewerk, dem freilich bis heute das abschließende Namens- und Ortsregister versagt geblieben ist.

Johann Wolfgang Goethe: Tagebücher. Historisch-kritische Ausgabe. Band V/1 1813 – 1816. Text. 452 S. – Band V/2 1813 – 1816. Kommentar. S. 520 - 1548. Beide Bände hrsg. von Wolfgang Albrecht. Stuttgart: J. B. Metzler 2007. Zusammen 189,90 Euro.