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„Es sind vortreffliche Italienische Sachen daselbst“
Louise von Göchhausens Tagebuch ihrer italienischen Reise mit Herzogin Anna Amalia
Zu Lebzeiten war Louise von Göchhausen (1752 – 1807) ein wenig glückliches Geschöpf, rachitisch, bucklig, vielleicht nicht zuletzt darum mit einem wehrhaften Mundwerk gesegnet, das ihr nicht nur Freunde machte. Das geistig rege Fräulein diente, folgte, führte aus und hatte als Hofdame der Weimarer Herzogin Anna Amalia die denkbar beste Herrin. Andere Zeitgenossen dagegen ließen sie Verachtung spüren, Schiller nannte sie gar „ein verwachsenes und mocquantes Geschöpf“.
Ihren Nachruhm erwarb sich die Göchhausen mit einer im Grunde kleinen Tat: Sie hatte sich Goethes erste Fassung des „Faust“ ausgeliehen und zur Gänze abgeschrieben. Und es war dann ihre Fassung, die als einzige die Zeiten überlebte. 1887 wurde das Konvolut bei ihrem Großneffen Friedrich Bruno von Göchhausen wieder entdeckt und noch im selben Jahr veröffentlicht. Seither besitzen wir den „Urfaust“, eine wunderbar spielbare Sturm- und Drangfassung des klassischen „Faust“.
Außer ein paar Briefen schien Louise von Göchhausen nicht viel Geschriebenes hinterlassen zu haben. Jetzt aber hat sich, was aus ihrer Feder erhalten blieb, noch einmal bedeutend vermehrt: Juliane Brandsch gab das „Tagebuch ihrer Reise mit Herzogin Anna Amalia nach Italien vom 15. August 1788 bis 18. Juni 1790“ heraus. Das sind 148 Seiten Text in einem 518 Seiten starken Band. Ein für die Forschung nützliches Tagebuch, aber als Lesetext sturzlangweilig.
„War vormittag“, „fuhr vormittags“, „fuhr um 8 Uhr“, „kam vormittag“, „fuhren nachmittag“ – so geht das Seiten um Seiten, erweitert einzig um Namen, Orte, karge Bezüge. Wenige Anekdoten, kaum Freude darüber, was sie in Rom zu sehen bekam oder überhaupt eine Seelenregung. Selbst eine gute Mahlzeit evoziert nichts, weder bei der Hofdame, noch beim Leser. („Zu essen war ausser einen Schinken und 5 Eyern nichts zu haben, wir tranken Wein dazu und legten uns schlafen.“) Und wenn es hoch her geht im Busen Louisens, dann heißt es: „Wir sahen die Sonne im Meer unter gehn, die Gegenden dieser Insel sind unaussprechlich schön.“ – Ah ja, so ist das also abends auf Ischia.
Die gründliche Herausgeberin merkt natürlich das Manko dieses „Faktenjournals“ selber, nennt das gründlich betreute Tagebuch „spröde“, beschreibt die Handschrift penibel und ediert sie mit all dem Handwerkszeug, dass sich in zweihundert Jahren Germanistik entwickelt hat. So liegt es denn nun wenigstens als gedrucktes Buch von Anspruch vor, aber doch leider als ein Werk, das nur die wenigsten lesen werden.
Man hätte anders verfahren können. Oder fairerweise gesagt: Mit diesem Journal als Grundlage wird man nun anders, lesbarer verfahren können. Ich denke an die schon häufig verwendete Form des Briefmosaiks. Dabei ließe sich das Göchhausensche Konvolut mit den Briefen und Aufzeichnungen Johann Gottfried Herders kreuzen und schon dadurch ungemein beleben. Auch die Briefe Goethes an Herder nach Rom und später diejenigen, die er aus Venedig geschrieben hat, fänden hier einen Platz, der das Ganze vertiefte. Und es gibt noch mehr zeitgenössisches Lesematerial, denken wir nur an die Reiseberichte von Seume und Moritz! Aus Goethes Briefen zur eigenen italienischen Reise ließe sich zitieren. Die Göchhausen gibt ihre redlichen Fakten dazu. Und Herder – ich weise auf das unten genannte Taschenbuch hin – hat authentisch und aus dem Augenblick heraus geschrieben, illusionslos, verbittert von den schweißtreibenden Schwierigkeiten des Tages, nicht zuletzt voller Ranküne und durchsetzt mit kleinen, feinen Gemeinheiten. Auf diese Weise ließen sich drei, vier gänzlich unterschiedliche Textsorten zusammenmontieren, die das Ganze spannend und anschaulich machten.

„Es sind vortreffliche Italienische Sachen daselbst“. Louise von Göchhausens Tagebuch ihrer Reise mit Herzogin Anna Amalia nach Italien vom 15. August 1788 bis 18. Juni 1790. Hrsg. u. komment. von Juliane Brandsch. Göttingen: Wallstein Verlag 2008. 518 S. (Schriften der Goethe-Gesellschaft. Bd. 72) Geb. 39,- €

Johann Gottfried Herder: Italienische Reise. Briefe und Tagebuchaufzeichnungen 1788 – 1789. Hrsg., kommentiert u. mit e. Nachw. von Albert Meier u. Heide Hollmer. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2003. 739 S. (dtv Nr. 13136) 15 EUR