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„Ich stehe stets daneben“ oder: Von der Last, den Namen Goethe zu tragen
Biografische Werke um Goethe – wer sich einmal eines so großen Themas angenommen hat, legt es nicht nach dem ersten Buch wieder ad acta, denn allzu groß ist die Mühe der Grundlegung gewesen. So gibt es seit mehr als hundert Jahren ehrenwerte Autoren, die mit ihren Werken wiederholt dafür gesorgt haben, dass auch der Laie Freude an klassischer Literatur gewinnen konnte. Wilhelm Bode war einer der ersten, der den gewaltigen Stoff immer aufs Neue drehte und wendete, um immer aufs Neue Biografisches zu schreiben: über Charlotte von Stein und August von Goethe, über Frauen und Liebe, Gartenhaus und Musenhof und natürlich über Goethe selbst – seine Biografie ist die mit neun Bänden bis heute umfassendste. Ihm folgte Jutta Hecker, die sich – von Wieland einmal abgesehen – vor allem der Peripheriebiografien annahm, der Leidenden und Verkannten. Dann die großartige Biografie-Erzählerin Sigrid Damm (Goethes Christiane, Lenz, Schiller) und neben ihr Effi Biedrzynski, die nahezu bis zu ihrem Tode den Taschenkalender „Mit Goethe durch das Jahr“ herausgegeben hat.
Und schließlich Dagmar von Gersdorff, an der sich meine These zur Zeit wohl am besten verdeutlichen läßt: „Goethes Mutter“ (2001), „Goethes erste große Liebe – Lili Schönemann (2002), „Marianne von Willemer und Goethe“ (2003), „Goethes spätes Liebe – Die Geschichte der Ulrike von Levetzow (2005). Und als jüngstes Werk: „Goethes Enkel – Walther, Wolfgang und Alma“ (2008).
Frau von Gersdorff hat in langen Jahren einen angenehmen Stil kultiviert, der sich gut liest und in aller Regel auch komplizierte Sachverhalte klug kompiliert und lesbar darstellt. Wer ihr Buch über die Goethesche Enkel-Generation gelesen hat, nimmt Anteil am harten Schicksal der Drei, an denen der Name des „Apapas“ wie ein niederdrückender Makel haftete. Walther wollte Komponist werden? So genial wie der Dichter würde er ja doch niemals sein! Wolfgang hoffte auf eine Karriere als Dichter? Was er schrieb, wurde sofort mit den Werken des Großvaters verglichen, sodass er klagte:

Ich stehe stets daneben
Und trete niemals ein.
Ich möchte einmal leben
Und möchte einmal sein.

Alma wollte zwar nichts Herausragendes, starb aber schon als Siebzehnjährige. Und doch hinterließen am Ende die beiden Erstgeborenen ein „Werk“, auf das die Nation bis heute stolz ist. Die sonst so schwachen, häufig kranken Männer hatten mit eisernem Willen das gesamte Erbe Johann Wolfgang von Goethes zusammengehalten, die beiden Häuser, die Sammlungen, den Nachlass – und es am Ende rechtzeitig dem Großherzogtum Sachsen vermacht und unter die Oberaufsicht des Großherzogs und der Herzogin stellen lassen. Nur so wurde es möglich, dass gleich nach dem Tod der letzten Träger des Namens Goethe mit der musealen Auswertung begonnen werden konnte und endlich auch das gesamte Werk des Dichters herausgegeben werden konnte.
Eine spannende, ergreifende, oft traurige Geschichte liest man da. Dagmar von Gersdorff hat sie – von kleinen Fehlern, die ein nochmaliges Lektorat leicht abstellen könnte – konzentriert und bewegend niedergeschrieben. Der einzige wirklich störende Fehler ist, dass es ihr kaum je gelingt, die Sammelbiografie einmal in einen ruhigen Fluss zu bringen. Sie springt vor und zurück, fasst zusammen und wiederholt, vertieft, um plötzlich wieder ein paar Jahre in der Vergangenheit zu sein. In der Taschenbuchausgabe ließe sich hier leicht Abhilfe schaffen, indem man noch eine Chronologie der wichtigsten Lebensdaten in den Anhang stellt.

Dagmar von Gersdorff: Goethes Enkel. Walther, Wolfgang und Alma. Mit zahlreichen Abbildungen. Frankfurt/Main: Insel Verlag 2008. 286 S., geb. 19.80 €